KÄLTE

Kälte ist in diesen Tagen mein Thema. Oder sollte ich sagen Wärme?
Es ist Januar. Obwohl wir keine Minusgrade draußen haben, empfinde ich die Kälte so eindringlich, dass es beinahe schmerzt. Das ist ja manchmal so, wenn zu den kalten Temperaturen auch noch eine gewisse Luftfeuchtigkeit kommt. Trockene Kälte, sagt man, lässt sich viel leichter ertragen.

Diese Kälte jedoch ist nicht nur feucht, sie wirkt auf mich auch wie ein Trigger. Sie trifft auf mich und bringt etwas mit oder rührt etwas an, was längst vergessen war. Dann will ich essen, dann fühle ich mich alleingelassen, dann spüre ich Unruhe und der Tag fühlt sich an als wäre es Nacht.
Erinnerungen tauchen auf. Ich bin 8 odoer 9 Jahre alt und komme von der Schule nachhause. Mir ist bereits kalt als ich ins Haus trete und drinnen wird es nicht besser. Es ist nicht geheizt und die Luft riecht unbewohnt und einsam. Die kleinen Fenster lassen nur wenig Licht herein und die kreisrunde Neonleuchte in der Küche gibt sich zwar Mühe, macht aber kaum einen Unterschied. Ich streiche mir ein Brot und esse im Stehen. Keine Mutter sagt mir, ich solle doch erst einmal die Jacke ausziehen und die Schuhe wechseln. Es riecht nicht nach Pfannkuchen und Liebe. Und da sind auch keine Augen, die mich sehen und erwartet haben.

Es gab Zeiten, da hat mich die Kälte gelähmt, verspannt, eingefroren und taub gemacht. Und ich bin darin geblieben, selbst im Sommer, über Jahre und Jahrzehnte. Was war mir immer kalt! Und sollten sie mir doch alle gestohlen bleiben mit ihrem Geschwafel von Bettsocken und Angoraunterhemden! Meine Kälte war so kalt, sie konnte eine Wärmflasche mit kochendem Wasser abkühlen, bevor sie meine Füße warmmachen konnte!

Diese Kälte begegnet mir gerade wieder und ich weiß, jetzt heißt es, gut für mich zu sorgen! Mich warm halten, warme Getränke und warmes Essen zu mir nehmen, mich zusätzlich zur Fleecejacke noch in eine Decke hüllen und den Dackel auf den Schoß nehmen. Keine kalten Füße tolerieren! Nicht in der Kälte bleiben! Mir selbst wie eine Mutter begegnen. Denn scheinbar gibt es da noch Nachholbedarf.
Das alles kann ich heute beobachten, kann offen darüber reden, mich gut regulieren und meine Geschichte liebevoll betrachten. Es droht nicht mehr die Depression. Aber was ist mit jenen, die noch keine Antwort auf die Kälte in ihrem Inneren gefunden haben?
Ich werde wütend, wenn ich daran denke, wie viele jetzt frieren für den Frieden! Noch wütender werde ich, wenn ich daran denke, wie viele frieren, weil Krieg ist. Und dieser Kälte lässt sich auch mit Schlafsäcken und Wollsocken nichts entgegensetzen. Da bräuchte es eine ganz andere Wärme!